Prof. Dr. Hans Ulrich Reck

Kreativität und/ versus Digitalität

Die Figur des „Schöpferischen“ ist erst im 20. Jahrhundert durch die Rede vom „Kreativen“ abgelöst worden. Dabei ist der Umfang des Schöpferischen zu einem „Kreativen‘ maßlos bis unermesslich ausgedehnt worden.

In alle Bereiche ist seither die Überzeugung oder Erwartung vorgedrungen, dass es bei allem Tun – von der Freizeit über Arbeit, Kunst, Kultur bis zu Wirtschaft und Management – immer auch um das Vorzeigen eines „Kreativen“ gehe und dass an Kreativität andere Erwartungen zu stellen sind als an Routinen.

Das ist deshalb bemerkenswert, weil die Technologien des Digitalen in der Regel auf Routinen und Subroutinen, nicht auf Regelbrechungen und Erneuerung beruhen oder hinauslaufen. Im Zeichen der Pandemiepolitik 2020-21 geht es zudem immer auch um das Verhältnis von: Kreativität, Öffentlichkeit, Digitalisierungserwartungen – Kulturwandel im Zeitalter der Telemaschinen/Telekommunikation.

These zur Diskussion 1: Zunächst halte ich die Ressource der Kreativität bei Menschen jedoch für begrenzt. Und dies selbst unter günstigen, ja idealen Bedingungen. Von solchen kann derzeit keine Rede sein. Von verunsicherten, verängstigten, belasteten, beladenen, bedrohten, ja nicht selten gar verzweifelten, durch die Bürden des Alltags niedergedrückten Menschen, also derzeit überaus vielen Menschen Kreativität zu verlangen oder zu erwarten, scheint mir eine Forderung, die man ohne Zynismus nicht wird äußern können. Stress und Angst sind keine guten Ratgeber.

These zur Diskussion 2: Hat die Pandemie einfach Ressourcen im digitalen Bereich freigesetzt oder befördert? Oder sollte man die umgekehrte Vermutung prüfen, dass nur mit dem entwickelten technischen Instrumentarium des Digitalen auf dem heutigen Stand die aktuelle pandemiepolitischen Regulierungen möglich geworden sind. Natürlich gibt es noch immer ein utopisches Potenzial ‚des Digitalen‘, aber vielleicht werden die Herausforderungen erst auf einer darunter liegenden Ebene produktiv, in neuen Formen umsichtiger und solidarischer Kooperation. Einer utopischen Erwartung geht es ohnehin nicht um Technik als solche, sondern um die Organisation der Subsistenz in kooperativer Allgemeinheit.

Von 1980 bis 1995 Dozent und Professor in Basel, Zürich und Wien. Von 1995 bis 2019 Professor für Kunstgeschichte im medialen Kontext, von April 2014 bis März 2020 Rektor der Kunsthochschule für Medien in Köln. Gründungsherausgeber der Reihe ‚edition KHM‘ im Herbert von Halem Verlag Köln.

Letzte Buchveröffentlichungen als Autor:

Pasolini. Der apokalyptische Anarchist, Leipzig: Spector Books, Reihe ‚Analysis & Excess‘ 2020 (englische Ausgabe Spector 2021)

Kritik der Kreativität, Köln: Herbert von Halem Verlag 2019

‚Ritualkunst‘ zwischen Kult und Museum – Dissonante Ästhetiken am Beispiel Afrikas. Mit einem Beitrag von Christine Bruggmann ‚Hommage an Afrika‘,Köln: Herbert von Halem Verlag 2017

Als Mitherausgeber: Urbane Poesie –  Ende und Aktualität der Litfaßsäule Köln: Edition KHM N° 4/ Herbert von Halem Verlag 2020

2022 erscheint: ‚DESIGN/ THEORIE – Essais 1982 bis 2020‘ (2 Bde, Reihe BIRD, Birkhäuser Verlag Basel)

Hans Ulrich Reck, geb. 1953, Prof. Dr. phil. habil., Philosoph, Kunstwissenschaftler, Publizist, Kurator. 

 

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